Stirnimanns familiären Sorgen
Verschiedene Quellen belegen, dass Stirnimann in den 1870er Jahren aufgrund familiärer Schicksalsschläge schwierige Zeiten durchzustehen hatte. Drei seiner vier Geschwister bereiteten dem Kunstmaler aufgrund psychischer Krankheiten oder Alkoholsucht Kummer, was Stirnimann vermutlich finanziell belastete, mit Gewissheit aber in seinem künstlerischen Schaffen behinderte.
Die Erkrankung seiner jüngsten Schwester Maria Josefa (1847–1927) etwa bekümmerte Stirnimann ausserordentlich, wie einer an Stückelberg gerichteten, sehr persönlichen Briefpassage zu entnehmen ist:
«Ich hatte eine liebe Schwester, die mir das Leben daheim angenehm u. erträglich machte […]. Die Gute war aber leider immer schwach, nervös u. hatte einen melancholischen Zug […]. Vor zwei Jahren, als ich in München war, wurde sie ernstlich krank u. das veranlaste mich auch, sobald wieder umzukehren u. heimgekommen verordnete ich dann, daß sie in ein Bad nach Busswyl[1] kam, wo sie sich bald wieder erholte […]. Das lezte Frühjahr hat ihr wieders zugesezt u. als ich zu Ostern heim kam, war sie wieder ganz schwach u. muthlos. Auf Anrathen des Arztes brachte ich selbe wieder nach Busswyl ins Bad, wo sie aber so verkehrt behandelt wurde, bis sie irrsinnig wurde u. ich wurde genöthiget, sie vor zwei Tagen mit großem Schmerz in der Heil- u. Pflegeanstalt Rosegg in Solothurn unterzubringen […]. Hr. Direktor Dr. Cramer hat mir jedoch Hoffnung gemacht, daß sie bald wieder genese u. was mich auch noch beruhigte, ich habe gesehn, daß sie jets gut gepflegt wird.»[2]
Laut Dr. Cramer[3], dem damaligen Direktor der Rosegg[4], litt Maria Josefa an «hochgradiger Melancholie»[5]. Dasselbe galt für den in der obigen Briefpassage ebenfalls erwähnten Bruder Eduard Stirnimann (1839–1913). Schon 1864 attestierte Direktor Cramer, dass dieser von Melancholie «in heilbarer Form»[6] gequält werde. 1874 musste Eduard in die «Irrenanstalt» St. Urban (LU) eingewiesen werden, wie einer Notiz im Ettiswiler Gemeinderatsprotokoll zu entnehmen ist.[7]
Neben den erkrankten Geschwistern Eduard und Maria Josefa dürfte Friedrich Stirnimann auch der Lebenswandel seines ältesten Bruders Anton (1831–1879) Kummer bereitet haben. Mit Beschluss des Ettiswiler Gemeinderates vom 17. Dezember 1873 wurde dieser, unter anderem weil er «notorischer Maßen täglich sich mit Most & Schnaps berauscht» und «in diesem Zustande in Privat- & Wirthshäusern, sowie auf öffentl. Plätzen Aergerniß erregt», in die «Correktionsanstalt Burgrain» eingewiesen.[8]
Nicht nur um die von solchen Schicksalsschlägen betroffenen Geschwister, sondern auch um seine «alte Mutter» scheint sich Friedrich Stirnimann immer wieder «in väterlicher Aufopferung»[9] gekümmert zu haben.[10] Im ‹Vaterland› hiess es dazu: «Würde jeder in seinem Kreise so wirken, wie er [Stirnimann] es getan hat, dann wäre die sociale Frage glänzend gelöst»[11].
«Daß es unter solchen Umständen mit der Kunst nicht sonderlich vorwärts geht, begreifen Sie gewiß u. ich muß mich auf bessere Zeiten trösten.»
Die Krankheiten und Schicksalsschläge in seiner Familie waren zweifellos eine grosse Belastung für den Kunstmaler und ein Hemmnis für dessen künstlerische Entwicklung, wovon die kummervollen Schlusszeilen des oben erwähnten Briefes an Stückelberg zeugen:
«Habe Ihnen natürlich ungern so eine Leidensgeschichte zugeschickt, aber der Schmerz wird einem viel leichter, wenn man s’Herz ausschütten kann. Daß es unter solchen Umständen mit der Kunst nicht sonderlich vorwärts geht, begreifen Sie gewiß u. ich muß mich auf bessere Zeiten trösten.»[12]