Zusammenfassung und Kommentar zum Kunstmaler Friedrich «Fritz» Stirnimann
«Wenn ich mir Mühe gebe den Akkord zu erhalten, […] so geschieht es besonders deßwegen, weil ich die günstige Gelegenheit nicht vorübergehen lassen möchte, ohne mir ein Name für alle Zukunft zu erwerben»[1], schreibt Stirnimann 1878. Eine Zeile, die von den Hoffnungen und Ambitionen des Ettiswilers zeugt und gleichzeitig die Frage aufwirft, ob es Stirnimann im Lauf seiner Karriere gelungen ist, sich einen bleibenden Platz in der Kunstgeschichte zu verschaffen?
Nachforschungen zwischen Taufbuch und Totenregister
Die hier präsentierten Ergebnisse zu Stirnimann sind das Resultat mehrjähriger Recherchen. In zahlreichen Archiv- und Bibliotheksbesuchen, vielen Stunden Quellen- und Literaturstudium, Dutzenden Begegnungen und Gesprächen mit Fachleuten, hunderten von E-Mails und unzähligen Arbeitsstunden wurde ein Sammelsurium von Spuren zu Stirnimanns Leben und Werk ausgewertet. Das Ergebnis beinhaltet nicht nur zahlreiche biografische Eckdaten zu Stirnimanns Familie und Netzwerk, zu Ausbildungsstätten und Lebensstationen, zu Kundschaft und Ausstellungen. Vielmehr gibt die Arbeit – gerade anhand der erstmalig entdeckten, von «Fritz» selbst verfassten Briefe – auch einen Einblick in Stirnimanns persönliche Gefühlswelt, seine Ängste und Hoffnungen, Freuden und Sorgen.
Künstlerische Ambitionen
Über Stirnimanns frühe Ausbildungsstationen gegen Ende der 1850er Jahre bei Amlehn in Sursee und Deschwanden in Stans sind nur wenig gesicherte Informationen verfügbar. Und auch über seinen Aufenthalt an der Kunstakademie in Karlsruhe in den 1860er-Jahren ist kaum etwas bekannt. Ein detaillierteres Bild ergibt sich dagegen in den 1870er Jahren – namentlich aufgrund der aus dieser Zeit überlieferten Briefe aus Stirnimanns Feder. Fritz präsentiert sich als junger Maler, der – von Karlsruhe in die Heimat zurückgekehrt – verschiedene Aufträge für Kirchenmalereien ausführt, diese aber primär als Pflichtübung und Brotverdienst zu betrachten scheint: «Studienköpfe u. Portrait will ich anfangen mit Freuden, wenn ich nur erst die hl. römisch-katholische Kirche los bin»[2], schreibt er in einem Brief von 1873. Damit bringt er deutlich zum Ausdruck, dass er nicht gewillt ist, zeitlebens ein einfacher Kirchenmaler zu bleiben.
«Viel Enthusiasmus und Entwicklungsdrang ist bei Stirnimann in den 1870er-Jahren zu spüren – der Wille eben, sich ‹einen Namen für alle Zukunft zu erwerben›.»
Viel Enthusiasmus und Entwicklungsdrang ist beim Ettiswiler in dieser Dekade zu spüren – der Wille eben, sich ‹einen Namen für alle Zukunft zu erwerben›. Stirnimann begnügt sich nicht mit den bisher gewonnen Fähigkeiten. Er ist bestrebt, sich an der Akademie der Bildenden Künste in München und (wohl) auch an der Académie Julian in Paris weiterzubilden. Er stellt sich an Turnusausstellungen dem Publikum. Und er versucht insbesondere, den Basler Maler Ernst Stückelberg als Förderer zu gewinnen, was einer «Nobilitierung» Stirnimanns «in künstlerischer und gesellschaftlicher Hinsicht»[3] gleichgekommen wäre (Franz Zelger).
Familiäre, gesundheitliche und finanzielle Hemmnisse
Die Quellen zeigen allerdings nicht nur diesen eifrig-strebsamen jungen Künstler. Sie vermitteln gleichzeitig den Eindruck, dass Stirnimanns künstlerische Ambitionen immer wieder auch gebremst werden. Ganz deutlich zeigt dies eine Briefpassage, in welcher er Stückelberg den Kummer über seine psychisch erkrankte Schwester Maria Josefa anvertraut und dann ergänzt: «Daß es unter solchen Umständen mit der Kunst nicht sonderlich vorwärts geht, begreifen Sie gewiß u. ich muß mich auf bessere Zeiten trösten.»[4] Auch die an mehreren Briefstellen durchschimmernde Geldknappheit dürfte Stirnimanns Vorankommen erschwert haben. Nicht zu vergessen sind zudem seine Krankheiten: Stirnimann bezeichnete sich selber als «Astmatiker»[5] und litt laut Meyer-Sidler zeitlebens unter Depressionen.[6]
«Ganz abwegig ist die These nicht, dass sich Stirnimann gerade in jungen Jahren allzu vielen familiären, gesundheitlichen und finanziellen Zwängen beugen musste, um der künstlerischen Kreativität, Inspiration und Innovation freien Lauf lassen zu können.»
Familiäre Sorgen, gesundheitliche Probleme und finanzielle Engpässe – das alles klingt auch im Nekrolog des ‹Luzerner Tagblatts› an: «Stirnimann kämpfte zeitlebens den Kampf ums Dasein, nicht bloss für sich allein, sondern auch für seine Geschwister, welche wiederholt schwer heimgesucht wurden; da half immer der gute Fritz […] mit in die Bresche stehen.»[7] Ob dies alles mit ein Grund dafür war, dass sich Stirnimanns «Sehnsüchte […] nach grösserer Vertiefung in das Wesen der Malerei»[8] (Paul Hilber) nicht erfüllen liessen? Man begibt sich mit einer solchen Vermutung auf das Feld der psychologischen Spekulation. Ganz abwegig ist aber die These nicht, dass sich der Ettiswiler gerade in jungen Jahren allzu vielen familiären, gesundheitlichen und finanziellen Sachzwängen beugen musste, um der künstlerischen Kreativität, Inspiration und Innovation freien Lauf lassen zu können.
Zufrieden in «Kunstsibirien»?
Nicht unmöglich, dass diese vielfältigen Sachzwänge letztlich mitverantwortlich dafür waren, dass beim jungen Ettiswiler Stagnation an die Stelle von künstlerischer Entwicklung und Reifung trat. Die Quellen geben zu wenig her, um diese Mutmassungen seriös zu überprüfen. Zumal in den 1880er-Jahren, in denen nur zwei Briefe überliefert sind. Abgesehen von den Tatsachen, dass Stirnimann 1883 in unklarer Mission in Paris weilte und im selben Jahr vom ländlichen Ettiswil in die Stadt Luzern zog, ist das Jahrzehnt nach 1880 bezüglich Stirnimann weitgehend terra incognita. Auffallend ist, dass er an keinen Turnusausstellungen mehr teilnimmt und kaum noch kirchliche Aufträge hat.
«Stirnimann hat sich mit der Situation arrangiert, seinen Frieden gemacht und scheint an kleineren Auftragsarbeiten Befriedigung und Freude zu verspüren.»
Dann ist da aber auch der vielsagende Brief von 1887, welchen Stirnimann an Stückelberg schreibt und darin festhält: «Schon seit einiger Zeit bin ich wieder in Baden, so in einer Art von Kunstsibirien, sonst wäre das schöne Leben leidlich. Ich male Portrait, schön fein meistens nach Photographien v. lb. Verstorbenen Stük für Stük à 100 Fr u. verdiene so redlich mein Auskommen.»[9] Vom früheren Enthusiasmus des Protagonisten ist hier wahrlich nichts mehr zu erkennen. Genauso wenig klingen diese Worte aber nach Frustration oder gar Resignation. Fast möchte man die Zeilen um die Metapher «Kunstsibieren» so deuten, als akzeptiere Stirnimann seine künstlerische Stagnation. Nicht mehr der Kunstolymp lockt ihn: Stirnimann hat sich mit der Situation arrangiert, seinen Frieden gemacht und scheint an den kleinen Auftragsarbeiten Befriedigung und Freude zu spüren.
«Wackerer Streiter in der Kunst»
Die im Badener-Brief fühlbare Genügsamkeit Stirnimanns ist aus der Rückblende betrachtet nicht gänzlich unberechtigt. Die vorliegende Untersuchung zeigt nämlich anhand von Stirnimann exemplarisch, dass es – nicht anders als heute – durchaus auch eine Nische für Maler gab, welche den Anschluss an die Spitze der Künstlerelite des Landes nicht schafften. Gerade die wieder etwas besser dokumentierten 1890er Jahre zeugen nochmals von Stirnimanns vielfältigen Maleraktivitäten jenseits der «grossen Kunst»[10] (Paul Hilber): Einmal ist es ein Auftrag für ein Kirchengemälde in Schönenwerd; ein anderes Mal bietet er seine Genreszenen an Turnus- oder nationalen Kunstausstellungen feil. Dann wieder erhält er den Zuschlag für den grossen Kilbi-Zyklus in der Luzerner ‹Bierhalle zur Eintracht›. Und schliesslich erstellt er immer wieder Porträts für seine Kundschaft in der Stadt oder auf der Luzerner Landschaft.
«Einen ‹Namen für alle Zukunft› konnte Stirnimann sich in der Welt der Künste nicht erwerben. Diese Hoffnung hat sich rückblickend als Illusion erwiesen.»
Auch wenn Stirnimann dabei hin und wieder ein «Wurf» gelingt[11] (Franz Zelger) finden sich doch in allen von ihm gepflegten Gattungen auch unbedeutende Elaborate und Massenware. Diese genügten nicht, um darob reich zu werden. Aber sie haben – mindestens phasenweise – gereicht, um «redlich» ein «Auskommen» zu verdienen.
Einen ‹Namen für alle Zukunft› konnte Stirnimann sich in der Welt der Künste damit allerdings nicht erwerben. Diese Hoffnung hat sich rückblickend als Illusion erwiesen. Fritz Stirnimann war «ein Maler, wie es damals viele gab, die kaum Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen haben»[12], bilanziert denn auch Franz Zelger. Das eigentliche Plus der vorliegenden Webseite liegt gerade darin, Stirnimann diesen Platz mindestens ein kleines Stück weit doch noch zu verschaffen: Indem sie die Biografie des Ettiswilers aufarbeitet, verschafft sie Einsichten und Erkenntnisse zu einem Akteur am Kunstmarkt, der zwar jenseits der Topliga der arrivierten Maler operierte, aber kommerziell doch so erfolgreich war, dass er in seinem Metier ein Leben lang bestehen konnte. Damit leistet sie einen kleinen kunsthistorischen Beitrag – und sorgt vielleicht dafür, dass Biografie und Œuvre des «wackern Streiters in der Kunst»[13] nicht gänzlich in Vergessenheit geraten.