Die Affäre Böcklin

«Ich will kein Händler odr. gar noch ein Betrüger sein»

Stirnimann und die ‹Affäre Böcklin›

1897 übermittelt Friedrich Stirnimann folgende Zeilen an Carl Brun, den Präsidenten der Gottfried Keller-Stiftung: «Erlaube mir, Ihnen für die Gottfried Keller-Stiftung ein Carton von A. Böcklin um den Preis v. 2500 Fr. anzubieten. Es ist die erste Kohlenskize zur ‹Liebesklage des Hirten› in der Schackgallerie z. München.»[1] Dieses Verkaufsangebot sollte für eine längere Kontroverse zwischen Stirnimann, der Gottfried Keller-Stiftung und dem grossen Basler Kunstmaler Arnold Böcklin sorgen. Verlauf und Gegenstand dieser ‹Affäre Böcklin› werden in den folgenden Abschnitten skizziert.[2]

Die Gottfried Keller-Stiftung

1890 übergab Lydia Welti-Escher, die Tochter des Zürcher Politikers, Eisenbahnpioniers und Unternehmers Alfred Escher (1819–1882), ihr grosses Vermögen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, um damit die Gottfried Keller-Stiftung zu errichten. Zweck derselben war die Anschaffung bedeutender Werke der bildenden Kunst des In- und Auslandes, um diese Schweizer Museen als Leihgaben anzuvertrauen.[3] In der Folge gelangten viele Maler, Händler oder Sammler an die Stiftung, um derselben Kunstwerke zum Kauf anzubieten.

Böcklins Entwurf zum Gemälde ‹Klage des Hirten›: «…für Kenner von größtem Intresse»

Gerade das hatte auch Stirnimann im Sinn, als er sich 1897 an die Gottfried Keller-Stiftung wandte: Er wollte derselben einen Entwurf auf Karton von Arnold Böcklins geplanter Neufassung des Gemäldes «Die Klage des Hirten (Daphnis und Amaryllis)» (um 1868) verkaufen.[4] Stirnimann erklärte, er sei «durch Schenkung vor mehr als zwanzig Jahren in Basel» zu diesem Karton gekommen und fuhr fort: «Der Entwurf ist für Kenner von größtem Intresse u. zeigt den Meister in seinem individuellen Schaffen sehr vortheilhaft.»[5]

Die Kommission der Gottfried Keller-Stiftung beschloss darauf, die Skizze von Arnold Böcklin zu prüfen,[6] worauf Stirnimann dieselbe zur Einsichtnahme einsandte.[7] Da sich gleichzeitig ein Kunsthändler in Berlin für die Böcklin-Skizze interessierte[8], verbesserte Stirnimann «aus Patriotismus»[9] gegenüber der Gottfried Keller-Stiftung sein Angebot: «In Anbetracht, daß das Bild durch Ihre Erwerbung der Schweiz erhalten würde, gehe ich auf den Preis v. 1500 Fr. zurük.»[10]

Kauf der Skizze durch die Gottfried Keller-Stiftung

Die Kommission beschloss daraufhin am 23. Dezember 1897 den Ankauf der Skizze Böcklins und schlug als Depotstelle die Kunstgesellschaft Zürich vor, was der Bundesrat mit Zuschrift vom 3. Januar 1898 genehmigte.[11] Der Tätigkeitsbericht der Gottfried Keller-Stiftung von 1898 gibt Aufschluss über die Motivation der Kommission, die von Stirnimann angebotene Böcklin-Skizze zu erwerben:

«Unter den Gemälden Böcklins, des grossen Förderers des internationalen Neoidealismus, nimmt ‹die Klage des Hirten› in der Galerie Schack in München[12] eine hervorragende Stellung ein. […] Handzeichnungen Böcklins gehören bekanntlich zu den Seltenheiten, weshalb es die Kommission reizen musste, den ersten Entwurf zur ‹Klage des Hirten›, als dieser ihr von Maler Fr. Stirnimann in Luzern angeboten wurde, der Stiftung einzuverleiben.»[13]

«Ächt Böcklinschen Charakter»? Zweifel an der Echtheit des Entwurfs

Mit dem Kauf der Böcklin-Skizze durch die Gottfried Keller-Stiftung war das Geschäft aber noch keineswegs abgeschlossen: Es wurden nämlich Zweifel an der Echtheit des Kartons laut! Albert Fleiner[14], Kulturredaktor der NZZ, schrieb in einem Brief an Carl Brun:

«Von Böcklin habe ich eine Karte des Inhalts erhalten, dass er niemals ein Karton zu dem Bilde ‹Des Hirten Klage› gemacht habe, ja nicht einmal eine Skizze. Böcklin glaubt sich ganz genau erinnern zu können.»[15]

Gegen diese Einschätzung äusserte sich Albert Anker, ebenfalls Mitglied der Kommission der Gottfried Keller-Stiftung. «Ich bin so frei, die Echtheit der Zeichnung in Schutz zu nehmen gegen Herrn Böcklin selbst. Er ist ein Millionär, der seine Schätze wegwerfen mochte, ohne sich an alles zu erinnern».

«Ich bin so frei, die Echtheit der Zeichnung in Schutz zu nehmen gegen Herrn Böcklin selbst.»

Brief Albert Anker an Carl Brun, 1898

Anker attestierte der Skizze «ächt Böcklinschen Charakter», betonte jedoch, dass es wünschenswert wäre, «wenn man nach der Provenienz des Bildes forschen könnte, um genau zu wissen, wie die Zeichnung in die Hände des Verkäufers gekommen ist. Ein schriftliches Attestat dieses Verkäufers wäre erwünscht.»[16]

«Ich will kein Händler odr. gar noch ein Betrüger sein»

Nun war Stirnimann gefordert! Die Quellen zeigen, dass Carl Brun mit der von Anker gestellten Forderung an Stirnimann gelangt sein muss. Dieser konnte darauf jedoch aus gesundheitlichen Gründen vorerst nicht eingehen, wie er Brun mittels Postkarte vom 7. Mai 1898 mitteilte: «Ich liege in Ettiswil an Astma krank u. es ist mir unmöglich Ihrem Verlangen sogleich nachzukommen»[17]. Offenbar nagte das ihm gegenüber gezeigte Misstrauen jedoch so sehr an Stirnimann, dass er sich trotz anhaltender Erkrankung genötigt sah, schon zwei Tage später erneut an Carl Brun zu schreiben.

«Der der Kellerstiftung verkaufte Carton zur Klage des Hirten ist gewiß ganz echt u. ich bin zur Zeit in Basel rechtmäßig dazugekommen, was ich zu jeder Zeit gern eidlich beschwöre […]. Ich will kein Händler odr. gar noch ein Betrüger sein».

Friedrich Stirnimann an Carl Brun, 1898

«Ich fühle mich immer noch schwach u. die Anzweiflung regt mich auch mehr als nöthig auf», hielt Stirnimann fest und betonte sodann: «Der der Kellerstiftung verkaufte Carton zur Klage des Hirten ist gewiß ganz echt u. ich bin zur Zeit in Basel rechtmäßig dazugekommen, was ich zu jeder Zeit gern eidlich beschwöre […]. Es würde wohl das Beste sein, die Zeichnung selber odr. wenigstens eine gute Photographie darnach Hr. Böcklin vorzulegen u. er würde gewiß seine Hand wieder erkennen. […] Ich will kein Händler odr. gar noch ein Betrüger sein»[18]!

Tatsächlich behauptete Stirnimann mehrmals, die Böcklin-Skizze in Basel erhalten zu haben. So auch im Brief vom 18. Dezember 1897, wo er betonte, dass er «in Basel durch Schenkung dazugekommen»[19] sei. Die genauen Umstände, unter denen Stirnimann zum Böcklin-Karton kam, konnten nicht geklärt werden. Bekannt ist lediglich, dass Böcklin den Raum, den er beim Dekorationsmaler Bernhard Thommen[20] als Atelier benutzte, nach dessen Tod im Juli 1868 räumen musste. Dabei sei die Böcklin-Skizze «mit anderem Papier als wertlose Makulatur zurückgelassen worden»[21]. Der Arnold Böcklin-Experte Dr. h.c. Hans Holenweg meinte dazu: «Vielleicht war damals Fritz Stirnimann zugegen, hat [bei der Räumung] mitgeholfen und den grossen Karton mitgenommen? Durchaus denkbar!»[22]

 

Ende der ‹Affäre Böcklin›: «Beweis der Echtheit geleistet»

Schlussendlich konnte die Affäre um den Böcklin-Karton Ende Juli 1898 doch noch ad acta gelegt werden: Nachdem Böcklin eine Fotografie der Skizze zur Begutachtung vorgelegt worden war, hatte dieser dieselbe als von seiner Hand geschaffen anerkannt. Im Protokoll der Kommission der Gottfried Keller-Stiftung heisst es dazu: «Die Antwort, von einem Sohne Böcklins (‹Carlo›) redigiert, lautet: ‹Die Skizze ist doch von Papa› etc. Somit ist der Beweis der Echtheit geleistet.»[23]

Referenzen


[1] Brief Friedrich Stirnimann [ohne Ort] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 1897 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung). – Vgl. dazu auch Protokoll der Eidgenössischen Kommission der G. Keller-Stiftung, 21. Oktober 1897, Traktandum 16 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[2] Für den Hinweis auf die ‹Affäre Böcklin› danke ich dem Arnold Böcklin-Spezialisten Dr. h.c. Hans Holenweg in Pratteln.

[3] Vgl. Jung Joseph, Das imaginäre Museum. Privates Kunstengagement und staatliche Kulturpolitik in der Schweiz. Die Gottfried Keller-Stiftung 1890–1922, Zürich 1998; Jung Joseph (Hrsg.), Lydia Welti-Escher (1858–1891). Biographie. Quellen, Materialien und Beiträge, Neuausgabe, Zürich 2009. Darin insbesondere das Kapitel ‹Die Errichtung der Gottfried Keller-Stiftung›, S. 184–202; Landolt Hanspeter, Gottfried Keller-Stiftung. Sammeln für die Schweizer Museen 1890–1990, Bern 1990; Lapaire Claude, Gottfried Keller-Stiftung, e-HLS.

[4] Bei dieser Zeichnung handelt es sich um «den Entwurf zu einer 1868 beabsichtigten, jedoch nicht ausgeführten Neufassung des Gemäldes ‹Die Klage des Hirten› von 1866». Mitteilung von Dr. h.c. Hans Holenweg, 11. November 2009. – Vgl. auch Holenweg Hans / Zelger Franz, Arnold Böcklin. Die Zeichnungen, Basel / München 1998, S. 162.

[5] Brief Friedrich Stirnimann [ohne Ort] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 1897 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[6] Vgl. Protokoll der Eidgenössischen Kommission der G. Keller-Stiftung, 21. Oktober 1897, Traktandum 16 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[7] Vgl. Brief Friedrich Stirnimann [Luzern] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 18. Dezember 1897 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[8] Vgl. Protokoll der Eidgenössischen Kommission der G. Keller-Stiftung, 23. Dezember 1897, Traktandum 29 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[9] Brief Friedrich Stirnimann [Luzern] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 22. Januar 1901 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[10] Brief Friedrich Stirnimann [Luzern] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 18. Dezember 1897 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[11] Vgl. Protokoll der Eidgenössischen Kommission der G. Keller-Stiftung, 23. Dezember 1897, Traktandum 29; 28. April 1898, Traktandum 10 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung); Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des schweizerischen Bundesrates, 30. Dezember 1897, Traktandum 5693 (Schweizerisches Bundesarchiv).

[12] Zur Sammlung Schack in München vgl. www.pinakothek.de/besuch/sammlung-schack.

[13] Bericht an das Tit. Departement des Innern der schweiz. Eidgenossenschaft über die Thätigkeit der Eidg. Kommission der Gottfried Keller-Stiftung im Jahre 1898, erstattet vom Präsidenten der Kommission, Zürich 1899, S. 5 (Schweizerisches Bundesarchiv).

[14] Albert Fleiner (1859 Aarau–1902 Rom), u.a. Kunstkritiker der NZZ. War mit Arnold Böcklin freundschaftlich verbunden. Vgl. Biographisches Lexikon des Aargaus 1803–1957. Zweiter Band der Jubiläumsausgabe zum 150jährigen Bestehen des Kantons, hrsg. von der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau, Aarau 1958, S. 211­–212; Fleiner Albert, Online-Matrikeledition Universität Zürich.

[15] Brief Albert Fleiner an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 31. März 1898, zit. nach Jung, Museum (1998), S. 383.

[16] Vgl. Brief Albert Anker an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 2. April 1898, zit. nach Jung, Museum (1998), S. 383.

[17] Postkarte Friedrich Stirnimann [Ettiswil] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 7. Mai 1898 [Poststempel] (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[18] Brief Friedrich Stirnimann [Ettiswil] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 9. Mai 1898 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[19] Brief Friedrich Stirnimann [Luzern] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 18. Dezember 1897 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[20] Bernhard Thommen (1826–1868). Dekorationsmaler aus Arisdorf BL. Thommen betrieb an der Malzgasse 9 in Basel ein blühendes Geschäft, mit zeitenweise bis zu 30 Angestellten. Dekorationsmaler hatten vielfältige Aufgaben zu erfüllen, wie etwa öffentliche und private Häuser mit Wand- und Deckenmalereien auszuschmücken, Theaterkulissen zu malen oder Ofenkacheln zu verzieren. Vgl. Gantner-Schlee Hildegard, Wilhelm Balmer, Vater (1837–1907): Maler; Wilhelm Balmer, Sohn (1872–1943): Maler und Keramiker, in: Gesellschaft für Regionale Kulturgeschichte Baselland (Hrsg.), Band 56 (1991), Heft 4, S. 105–140, hier: S. 110; Gantner-Schlee Hildegard, Karl Jauslin, 1842–1902, Historienmaler und Illustrator, in: Gesellschaft für Regionale Kulturgeschichte Baselland (Hrsg.), Band 44 (1979), Heft 4, S. 481–528, hier: S. 485.

[21] Schmid Heinrich Alfred, Böcklins Leben und Schaffen. Arnold Böcklin. Eine Auswahl der hervorragendsten Werke des Künstlers in Photogravüre, 4. Folge, München 1901, S. 41.

[22] Mitteilung von Dr. h.c. Hans Holenweg, 11. November 2009.

[23] Protokoll der Eidgenössischen Kommission der G. Keller-Stiftung, 28. Juli 1898, Traktandum 13 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).