Briefe

Neu entdeckte Briefe: Der Künstler im Originalton

Briefe Friedrich Stirnimann an Ernst Stückelberg

Die Überraschung war gross, als das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaften (SIK-ISEA) in Zürich auf Anfrage antwortete, dass im Nachlass von Ernst Stückelberg insgesamt sieben Briefe Stirnimanns an den Basler Kunstmaler vorhanden seien.[1] Damit war erstmalig ein kleines Konvolut von Korrespondenz aus der Feder des Luzerner Hinterländers entdeckt.

Es handelt sich um fünf Briefe aus der ersten Hälfte der 1870er-Jahre; zwei weitere wurden 1887 geschrieben. Die Korrespondenz ist in deutscher Kurrentschrift abgefasst. Die im Anschluss wiedergegeben Transkription ist wortwörtlich übernommen, auch Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden im Original belassen.

Inhaltlich zeigen die Briefe, dass Stirnimann nach seinen Ausbildungsaufenthalten im Ausland versucht hat, Stückelberg anfangs 1870er-Jahre als Mentor zu gewinnen. Er thematisiert aber nicht nur kunstfachliche Fragen, sondern plaudert auch aus seinem Privatleben und erwähnt gar einen Korb voller Äpfel, den er Stückelberg zukommen liess. Die Briefe geben somit einen spannenden Einblick ins Leben Stirnimanns aus seiner ganz persönlichen Optik.

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 20. Juli 1872

Ettiswyl d[en] 20. Juli 1872.

Hochgeehrter Hr. Ernst Stückelberger!

Vorab danke sehr für die Mühen
u. Freundlichkeiten, die Sie mir schon
erwiesen haben.
Es war schon jahre lang mein sendlichster
Wunsch, bei Ihnen wenigstens
einige Studien Köpfe malen zu können;
aber leider kante ich Sie persöndlich
nicht u. wuste gar nicht wie das ankehren
bis sich jets mein lb. Keller darum
annimt, ohne es mir vorher zusagen
u. darum war ich bei Ihnen auch so
frappiert. Wolte ich Ihnen jets aber
alle Gründe aufzählen, warum ich
jets besonders zu Ihnen zukomen suche,
so würde das unfehlbar zuviel
Papier brauchen u. ich fürchte es konte
Sie belastigen. Ich hoffe nun
die gütige Vorsehung werde mich
im Septebr unter Ihre werthe
Leitung bringen u. dan erlaube
ich Ihnen mich zu prügeln,

wen ich sonst nicht gut thue.
Mit dem besagten Altarbild pressiert
es so sehr, dass ich selbes baldigst an
fangen muß sonst werde ich genöthigt
es nach Deschwanden zukopieren, was
ich sehr ungern thäte u. gewiß auch
nichts lernte. Gestüzt auf das, wäre
es vieleicht gut, wen ich nochmal
nach Basel käme u. den Hr. Comissions
Mittgliedern des Kunstvereins nachgehen
würde u. auf Ihr gütiges Ansuchen
hin die Bitte erneuerte um die
Sache wenigstens zubeschleunigen!
Wen ich nach Basel kome & Sie dan
vieleicht schon verreist sind, so würde
ich Ihnen dan gerne die Skizen
zum Altarbild in Gelterkinden
vorlegen, wen ich darf!
Meinem lb. Fr[i]tz Keller habe ich wie
ich von Basel gekommen bin dankt, bis
jets aber noch keine Antwort erhalten,
er wird sich wahrscheindlich am Eidgn
Schießet? waker betheiligen.
Hochachtungsvoll
ergebenst
Friedr. Stirnemann Maler

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 10. August 1872

 

Ettiswyl d[en] 10. Augst. 1872.

Hochgeehrter Herr E. Stückelberger!

Die wiederholten Fragen
ob das besagte Altarbild noch nicht bald
gemalt sei, nöthigen mich Sie mit
Schreiberei zu belästigen.
Weil es mir scheint, daß das gesehene
Atelier, troz dem guten Willen, nicht so
schnell zu bekommen ist, so möchte ich
Sie fragen, ob ich vieleicht besser
thäte, wen ich vorlaufig in Basel
ein größeres Zimmer suchte, um die
Arbeit anzufangen u. dan ruhig
zuwartete bis Sie u. die Hr. Commissions
Mitglieder wieder daheim sind?
Unter Ihre gütige Leitung nach Basel
möchte ich jets ums Leben gern kommen
den es gilt mich einmal von der [?]
Süßmalerei zuemancipieren nur
thut es mir leid, daß mich die Umstande
so schnell drängen.
Mit Hochachtung u. Gruß
ergebenst
Friedr. Stirnimann Maler

[Linke Seite:] Die Skizen würde ich Ihnen dan gern in Gelterkinden
auf der Reise vorlegen

Brief Stirnimann an Stückelberg vom Mai 1873

 

 

Hochgeehrter Herr E. Stückelberg!

Sie müssen mir
verzeihen, wen ich so lange kein
Wort hören lasse; aber ich hatte
bis jets kaum die Nöthige Ruhe
an Sie zu schreiben.
Alle Plagen alle Erdenlasten
wälzt der unversöhnten Göttin
List auf die Schultern des Verhas[s]ten
bissein Lauf beendigt ist: sagt
Schiller u. es komt mir bald vor
als hatte der Unsterbliche diese
Worte besonders für mich gesagt.
Ich hatte meine liebe Schwester, die
mir das Leben daheim angenehm
u. erträglich machte u. wen ich fort
war sorgte sie für die ganze
Haushaltung, daß ich mich weiter
nicht bekümmern durfte.

 

Die Gute war aber leider
immer schwach, nervos u. hatte einen
melancholischen Zug, der sie aber
für mich eher angenehmer machte.
Vor zwei Jahren als ich in München
war, wurde sie ernstlich krank u.
das veranlaste mich auch sobald
wieder umzukehren u. heimgekommen
verordnete ich dan daß sie in ein
Bad nach Busswyl kam, wo sie sich
bald wieder erholte jedoch nicht mehr
zur frühren Gesundheit kam.
Das lezte Frühjahr hat ihr wieders
zugesezt u. als ich zu Ostern heim
kam, war sie wieder ganz schwach
u. muthlos. Auf Anrathen des Arztes
brachte ich selbe wieder nach Busswyl
ins Bad, wo sie aber so verkehrt
behandelt wurde, bis sie irrsinnig
wurde u. ich wurde genöthiget

 

sie vor zwei Tagen mit großem
Schmerz in der Heil u. Pflege
anstalt Rosegg in Solothurn
unterzubringen, wo auch schon
ein altrer Bruder nicht mehr
gesund wurde. Hr. Direktor Dr.
Cramer hatt mir jedoch Hoffnung
gemacht, daß sie bald wieder
genese u. was mich auch noch beruhige
ich habe gesehn, daß sie jets gut
gepflegt wird.
Habe Ihnen natürlich ungern
so eine Leidensgeschichte zugeschickt
aber der Schmerz wird einem
viel leichter, wen man s Herz aus
schütten kann. Daß es unter
solchen Umständen mit der Kunst
nicht sonderlich vorwärts geht, begreifen
Sie gewiß u. ich muß mich auf
bessere Zeiten trösten.

 

Für die besagten Dekenbilder
habe ich keinen andern Maler
finden können u. die Kirchenverwaltung
dringt darauf daß ich sie selber male.
Einmal angefangen war mir die
Arbeit nicht mehr so unangenehm
den es läßt sich sehr gut malen u.
zum Andern verdiene ich Geld
was ich jets nöthig habe.
Daß mein Bild in Basel gefallen
hat mich gefreut, wen es in Luzern
nur auch so geht, den ich war nie
recht zufrieden damit.
Zwei Portrait habe ich unterdessen
auch gemalt, die wie ich glaube doch
besser waren, wie frühere.
Nochmal es hat mir Mühe gemacht an
Sie so was zuschreiben, hoffe aber
Sie werden mir Ihre gütige
Zuneigung bewahren
Tausend Grüße Ihr ganz [?]ergebenst.
Fr. Stirnemann

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 22. August 1873

 

Ettiswyl d[en] 22. Augst 1873


Hochgeehrter Herr Stückelberg!

Wen ich auch lange
nicht schreibe, so darf ich Sie doch
versichern, daß ich mich alle Tage
mit dankbaren Gefühlen an
Sie erinnerte u. mich wenigstens
bestrebte Ihren guten Rathen
nachzukommen. Ein Grund daß ich
so lange nie schrieb, ist der, daß ich
nicht den Muth hatte Ihnen Zeit zu
rauben & Sachen zu schreiben, die
Sie gewiß nicht ergözen können.
Die besagten Dekenbilder habe ich
alle selbst malen müssen, nur
die Stationen hat mir ein Andrer
untermalt die ich aber noch zu über
malen habe.

 

Wie ich Ihnen Schwarz auf Weiß im
Vertrag gezeigt hatte Pf. Deschwanden
die Bilder anzusehen u. als
annehmbar zubezeichnen oder nicht
u. er hats gethan u. hat das beste
Urtheil gesprochen. […]
Nachher gab der Pfr. ihm noch den
Auftrag, die Ihnen bekante
Mr. Himmelfahrt in Luzern anzusehen
u. auch das hat er gethan, aber
leider einen gar bösen Brief
geschrieben, daß er die Gemeinde
bedaure, die für so viele Kosten so
ein wüst Bild bekomme u. daß ich mich
daran machen müsse u. das Bild von
oben bis unten korigiren u.s.w.
Um unter der Dcorationsmalerei
nicht allen Ernst zuverlieren
habe ich eine Landschaft gleich nach
der Natur zu Bild gemalt, die
ich diese Woche noch nach Basel auf
die Ausstellung schicken möchte

 

u. von der ich gern Ihr mir maßgebendes
Urtheil hätte. Studienkopfe u.
Portrait will ich anfangen mit
Freuden wen ich nur erst die hl.
romisch-katholische Kirche los bin.
Um mich wieder aufzufrischen
würde ich Sie gar gern besuchen
u. bitte darum mir anzuzeigen
wo Sie gegenwärthig sind.
Meiner lb. Schwester geht es besser.
Hochachtungsvoll
ergebenst,
Fr. Stirnimann Mal.

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 10. November 1874

 

Ettiswil d. 10. Novbr. 1874

Hochgeehrter Herr Stückelberg!

Die Gründe, die Sie
anführen, daß Sie die Fresco-
malerei hinausgeschoben,
leuchten mir vollkommen ein
u. ich bin zudem noch recht froh,
da ich diesen Herbst doch kaum
Zeit gefunden hätte, etwas
Neues zu lernen.
Vor einigen Wochen habe ich
die Keller-Pfarrerfamilie in
Zofingen besucht u. selbe wieder
neu lieb gewonnen.
Mein lb. Fritz war auch daheim
u. weil seit wir keine Zeit hatten
zu plaudern, so wolter [sic!] er mich
gestern in Ettiswil besuchen,
hat mich leider aber nicht
zu Hause gefunden.
Im Luzerner Tagblatt habe
ich über Ihr Bild einige
eigenthümliche Worte

gelesen die ich Ihnen
zusende sobald ich selbe
wieder erwitsche. Hr. Zünd
hat gefunden Ihr Bild sei
eigentlich das weit Beste
von der ganzen schweizerischen
Ausstellung, nur der ganz
nakte Bube könne ihm nicht
recht gefallen. Der lb. Junge
hat scheints in seiner naiven
Naktheit doch sein sittlich, relig-
iös Gefühl verlezt.
Ich habe neben Portrait noch
einige Studien nach der
Natur gemalt, muß jedoch
noch Mal Stationen malen
ehe ich selbe zu Bildern
benuzen kann.
Zu soviel Aepfel kan ich keinen
Conto machen. Sie müßten
zuerst wenigstens zehn Mal
so viel verlangen [nur?]
guten Appetit wünschen.
Mit Hochachtung
ergebenst
Fr. Stirnimann

[Linke Seite:] Adresse für den Korb retour: Fr. Stirnimann Maler Ettiswil Kt. Luzern, Station Wauwil

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 28. Juli 1887

 

Luzern d. 28. Juli 1887

 

Herr Dr. Stückelberg!

Vor einiger
Zeit las ich in einer hiesigen
Zeitung u. hörte es auch
mündlich sagen: Die Farben
an Ihren Fresco-Bildern in
der Tellskapelle seien
bedeutend bleicher geworden
durch Reflexe vom See her.
Ich habe die Bilder auf einer
Spazierfahrt lezthin flüchtig
gesehen u. gut erhalten
gefunden, bis auf einen
Kopf auf dem Schwurbilde
wo es mir schien, daß die
Retouchen weg seien u. die
erste Malung etwas hell
u. fahl hervor trette

 

Erlaubte mir Hr. Dr. Sie der Sache
wegen, darauf aufmerksam
zumachen.

Mit Hochachtung
Fr. Stirnimann M[aler]

Brief Stirnimann an Stückelberg vom 20. November 1887

 

Baden d. 20. Nov. 1887

 


Herrn Dr. Stükelberg!


Schon seit
einiger Zeit bin ich wieder
in Baden, so in einer
Art von Kunstsibirien,
sonst wäre das schöne
Leben leidlich. Ich male
Portrait, schön fein meistens
nach Photographien v. lb.
Verstorbenen Stük für Stük
à 100 Fr u. verdiene so
redlich mein Auskommen
Nun aber wandelt mich
ein Bedürfniss an:

«Bilder zu sehn u. wenn
möglich auch wieder ein Mal
mit einem Maler zureden.»
Darf ich Sie Hr. Dr. daher
bitten mir auch nur
mit einer Karte zusagen
wie lange die Ausstellung
der Franzosen noch in
Basel weilt u. ob Sie
wan ich komme zu sprechen
sind?

 

Mit Hochachtung
Fr. Stirnimann
[Art peintr.?]
Bahnhof Baden
Aargau