Kunstschule Karlsruhe

«... eine lustige Schweizergesellschaft an der Kunstschule»

Stirnimann an der Kunstschule in Karlsruhe

Man darf vermuten, dass Stirnimann bei Deschwanden in Stans zuweilen als Gehilfe eingesetzt wurde und dabei offenbar auch «einiges Geld»[1] verdiente. Damit ging er dann als Zwanzigjähriger an die Grossherzogliche Kunstschule nach Karlsruhe.[2]

 

«... ein Heimatschein fürs Ausland»

Dieser Ausbildungsaufenthalt im Grossherzogtum Baden dürfte der Grund für folgende Passage im Ettiswiler Gemeinderatsprotokoll vom 28. Januar 1861 sein: «Dem Friedrich Stirnimann von Anton & der Anna Ma. Kaufmann wurde ein Heimatschein fürs Ausland ausgestellt»[3].

«Dem Friedrich Stirnimann wurde ein Heimatschein fürs Ausland ausgestellt».

Gemeinderat Ettiswil, 1861

Leider ist das gesamte Archiv der Kunstschule Karlsruhe im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden, so dass sich die Hoffnung, auf überlieferte Akten von Stirnimann zu stossen, nicht erfüllte.[4]

Immerhin lässt sich aber aufgrund von Immatrikulationslisten nachweisen, dass Stirnimann 1861–1863 sowie 1866–1867 an der Karlsruher Schule eingeschrieben war.[5] Hier studierte der junge Ettiswiler bei Ludwig des Coudres (1820–1878), Porträt- und Genremaler sowie ab 1855 Professor an der Kunstschule in Karlsruhe.[6]

«... keinen Kreuzer ausgehändigt»

Eine amüsante Episode aus dem Alltagsleben an der Badischen Kunstakademie ist aus Stirnimanns eigener Feder überliefert. In einem Brief vom 22. Januar 1901 erinnert sich der Ettiswiler:

«Es war in den sechziger Jahren als die Schweizer u. die Deutschen in der Malklasse auf der Kunstmühle zu Karlsruhe kein Geld mehr hatten. Dann wurde beschlossen: Das Tagesmodell wegzuschicken, dafür müsse jeder Schüler einer nach dem andern Modellsizen, am Samstag beim Inspektor sich den Modellohn auszahlen lassen und mit den andern redlich theilen. Unser Meister Stäbli war durch das Loos der erste, wurde von E. Pfiffer[7] so zimlich am besten gemalt und mir zugetheilt (d. berühmte H. Toma war auch dabei.) Wenn ich fertig erzählen soll, so hat am Samstag d. Hr. Inspektor g’schimpft u. gemeint: die Herren seien zum malen und nicht zum Modellmachen da, zudem [hat er] keinen Kreuzer ausgehändigt.»[8]

Hans Thoma: «... eine lustige Schweizergesellschaft»

Dieser kurze Briefausschnitt verdeutlicht, dass weder Stirnimann noch seine Mitstudenten in Karlsruhe finanziell auf Rosen gebettet waren. Unter Stirnimanns Kommilitonen befanden sich übrigens einige, die später ziemlich berühmte Kunstmaler wurden. Allen voran ist hier Hans Thoma (1839–1924) zu nennen, der «um die Jahrhundertwende nahezu als Inbegriff deutscher Art und Kunst angesehen»[9] wurde, wie ein Malereilexikon aus den 1960er-Jahren festhält.

Ein Brief von Hans Thoma an seine Mutter aus dem Jahr 1862 gibt einen Hinweis darauf, in welchem Netzwerk sich Stirnimann in Karlsruhe bewegt haben könnte:

«… ich verkehrte viel mit einer lustigen Schweizergesellschaft, die sich an der Kunstschule zusammengefunden hatte. Der gleiche Dialekt bewährte seine Bindekraft; so denke ich jetzt an Zemp[10], Pfyfer[11], Stirnimann, Bucher[12], Kaiser[13], die Köpfe mitmalten, an Studer[14], Balmer[15], Stäbli[16], es waren fröhliche Schweizer.»[17]

Dass Stirnimann mit Thoma eine «Seelenverwandtschaft» gehabt hatte und mit ihm «bis kurz vor seinem Tode noch in Korrespondenz stand»[18] wie es im ‹Luzerner Tagblatt› hiess, konnte allerdings nicht belegt werden: Recherchen im Teilnachlass von Hans Thoma in der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe sowie Auskünfte des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, die ebenfalls einen Teil des Nachlasses Thomas verwalten, ergaben, dass sich zumindest in diesen drei Institutionen keine Briefe von oder an Stirnimann eruieren lassen.[19]

Adolf Stäbli: «... eine ganze Nacht nur von Stirnemann geträumt»

Auch der ab 1869 in München tätige Winterthurer Landschaftsmaler und Zeichner Adolf Stäbli (1842–1901) war mit Stirnimann bekannt und erinnerte sich offenbar gerne an die in Karlsruhe verbrachte Zeit, wie eine Anspielung in einem Brief an Thoma vom 30. Dezember 1864 zeigt:

«Neulich habe ich eine ganze Nacht nur von Stirnemann geträumt, grüss ihn und die lieben Schweitzer alle»

Brief Adolf Stäbli an Hans Thoma, 1864

«Ich habe nach Euch Allen recht Heimweh. Neulich habe ich eine ganze Nacht nur von Stirnemann geträumt, grüss ihn u. die lieben Schweitzer alle».[20] Zu beachten ist übrigens, dass Stäbli hier die etwas weniger geläufige Schreibweise des Familiennamens mit ‹e› – Stirnemann – benutzt.

Referenzen


[1] Luzerner Tagblatt, 8. August 1901.

[2] Vgl. Vaterland, 6. August 1901; Luzerner Tagblatt, 8. August 1901.

[3] XI. Gde.-Ratsverhandlungsprotokoll 1859–1868, 28. Januar 1861, S. 70 (Gemeindearchiv Ettiswil).

[4] Mitteilung Sigrid Nachbar (Kunstakademie Karlsruhe), 18. November 2009.

[5] Vgl. Oechelhaeuser Adolf von, Geschichte der Grossh. Badischen Akademie der Bildenden Künste. Festschrift zum 50jährigen Stiftungsfeste, Karlsruhe 1904, S. 168.

[6] Vgl. Kunstverein, Künstler-Lexikon (1913), S. 260; Weech Friedrich von, Des Coudres Ludwig, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1903), S. 666–667.

[7] Vermutlich Eduard Pfiffer bzw. Pfyffer aus Döttingen (1836 Baden – 1899 Zürich). Genre- und Porträtmaler; Zeichenlehrer in Zürich. 1860–1862 und 1864 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 166.

[8] Brief Friedrich Stirnimann [Luzern] an Carl Brun (Gottfried Keller-Stiftung), 22. Januar 1901 (Archiv der Gottfried Keller-Stiftung).

[9] Kindlers Malerei-Lexikon, Bd. 5: R–Z, Zürich 1968, S. 493.

[10] Vermutlich Adolf Zemp (1838 Luzern – 1913 Luzern). Porträt- und Genremaler. 1859–1860 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 170.

[11] Vermutlich Niklaus Pfyffer von Altishofen (1836 Luzern – 1908 Luzern). Landschaftsmaler und Radierer. 1859 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 166.

[12] Vermutlich Franz Bucher (1836 Stans – 1919 Stans). Richter und Maler. 1860–1862 sowie 1864–1865 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 158.

[13] Vermutlich Karl Georg Kaiser (1843 Stans – 1916 Stans). Maler; Mitarbeiter von Melchior Paul von Deschwanden, 1881 Übernahme von dessen Atelier. 1861–1864 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 163.

[14] Vermutlich Bernhard Studer (1832 Gunzgen – 1868 München). Maler. 1856–1864 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 168; Husy Markus / Albert Dieter, Bernhard Studer (1832–1868) Landschaftsmaler, 2018, https://markushusy.wordpress.com/bernhard-studer-1832-1868-der-fast-vergessene-maler-aus-gunzgen/. Vgl. ebenda: «Zu Studers Zeit halten sich neben Hans Thoma und anderen auch Ferdinand Keller, Anton von Werner, Heinrich Vosberg, Rudolf Epp, Karl Eckermann, Theodor Kotsch, Karl Weysser, Alexis Puhlmann, Fritz Ebel  und Ludwig Fahrbach in Karlsruhe auf. Die Maler Emil Lugo, Gustav Osterroth, Eugen Bracht, Philip Röth und die Schweizer Friedrich Stirnimann, Adolf Stäbli und Niklaus Pfyffer gehören dabei zum engeren Freundeskreis. Die Schüler der Akademie stehen zwar in Konkurrenz zueinander, man trifft sich aber immer wieder zu geselligen Zusammenkünften und hilft sich auch gegenseitig bei der Arbeit.»

[15] Vermutlich Joseph Balmer (1828 Abtwil – 1918 Luzern), Kirchen- und Historienmaler, Zeichner und Illustrator. Altar-, Wand- und Deckenbilder, Glasfenster. Vater des Kirchenmalers Alois Balmer. Balmer war wiederholt für längere Aufenthalte in den Ateliers der Stanser Maler Melchior Paul und Theodor von Deschwanden (1853–56, 1856–59, 1861–1865). 1859–1860 und 1864 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Vgl. Schubiger Benno, Balmer Joseph A. [1998], SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 157.

[16] Vermutlich Adolf Stäbli (1842 Winterthur – 1901 München). Landschaftsmaler und Zeichner. Paysage intime und monumentale Gewitterlandschaften. Freundschaft mit Arnold Böcklin. 1862 an der Kunstakademie in Karlsruhe eingeschrieben. Ab 1869 in München tätig. Vgl. Wasmer Marc-Joachim, Stäbli Johann Adolf [1998], SIKART; Oechelhaeuser, Karlsruhe (1904), S. 168.

[17] Zit. nach Meyer-Sidler, Stirnimann (1985), S. 16.

[18] Luzerner Tagblatt, 20. Dezember 1901.

[19] Mitteilungen Dr. Siegmar Holsten (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe), 23. September 2009; Dr. Astrid Reuter (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe), 18. November 2009; Sabrina Kühn (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg), 23. und 28. September 2009; Rainer Fürst (Badische Landesbibliothek Karlsruhe), 12. November 2009.

[20] Brief Adolf Stäbli an Hans Thoma, 30. Dezember 1864, zit. nach Wasmer Marc-Joachim / Müller Barbara, Adolf Stäbli 1842–1901. Ein Schweizer Landschaftsmaler in München. Ausstellung aus Anlass der 700-Jahr-Feier Stadt Brugg, Zimmermannshaus in Brugg, 12. Mai bis 12. Juli 1984, Aarau/Stuttgart 1984, S. 176.